Triple-Therapie mit NOAK - Praxis und Studienlage
Am Ende dieser interaktiven Fortbildungseinheit kennen Sie ...
- kennen Sie die bisherigen Therapierichtlinien und Behandlungsstrategien bei Patienten mit Vorhofflimmern und akutem Koronarsyndrom,
- sind Sie über die Problematik der klassischen Triple-Therapie informiert,
- kennen Sie die Rationale zur Durchführung der PIONEER-Studie, deren Studiendesign und die Ergebnisse,
- können Sie auf Basis Ihrer gewonnenen Kenntnisse zukünftig eine fundierte Therapieentscheidung für Ihre Patienten treffen.
Einleitung
Die aktuellen Therapierichtlinien sowie Behandlungshinweise für Patienten mit Vorhofflimmern, die sich einer perkutanen Koronarintervention mit Platzierung eines Stents unterziehen, sind limitiert und basieren auf retrospektiven, nicht randomisierten Beobachtungsdaten oder Expertenempfehlungen. Die bestmögliche Behandlungsstrategie für diese Patientenpopulation ist eher unklar. Aufgrund dieser Tatsache und auf Basis des bis dato verfügbaren Wissens wurde das Design der Phase-IIIb-Studie PIONEER AF-PCI entwickelt. PIONEER AF-PCI ist die erste randomisierte Studie zum Einsatz eines nicht Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulans (NOAK) in dieser Patientenpopulation. Ziel der Studie war die Beurteilung der Sicherheit zweier verschiedener Therapiestrategien mit dem Faktor-Xa-Hemmer Rivaroxaban im Vergleich zur konventionellen Triple-Therapie mit einem dosis-adjustierten Vitamin-K-Antagonisten plus dualer Antiplättchentherapie (DAPT).
Aktuelle Therapierichtlinien und Behandlungshinweise
Vorhofflimmern Das Vorhofflimmern ist eine häufig auftretende Herzrhythmusstörung, die etwa 1 % bis 2 % der deutschen Bevölkerung betrifft. Unterschieden wird zwischen dem valvulären und dem nicht valvulären Vorhofflimmern (nvVHF):- Valvuläres Vorhofflimmern: Vorhofflimmern bei rheumatischen Klappenerkrankungen (vorwiegend Mitralstenose) bzw. nach mechanischem Herzklappenersatz
- Nicht valvuläres Vorhofflimmern: Alle anderen Formen des Vorhofflimmerns
Triple-Therapie beim ACS und Vorhofflimmern
Nicht selten weisen Patienten mit Koronarstent auch Vorhofflimmern auf. Das Vorhofflimmern erfordert einerseits die Gabe eines Antikoagulans zur Schlaganfallprophylaxe, das Koronarstenting zwingt andererseits für eine gewisse Zeit zur Rezidivprophylaxe einschließlich des Schutzes vor Stentthrombosen mit einem oder sogar zwei Thrombozytenaggregationshemmern – beides zusammen erhöht jedoch das Blutungsrisiko erheblich. Von besonderer Bedeutung ist daher die Balance zwischen antiischämischer Therapie und dem Blutungsrisiko. Folgt man den Leitlinien der ESC zu Vorhofflimmern, so sollte bei jedem Patienten zunächst eine Einstufung des Blutungsrisikos erfolgen [1]. Für Patienten mit einem hohen Blutungsrisiko wird die Triple-Therapie über einen Monat empfohlen, anschließend eine duale Therapie aus einem Plättchenhemmer und einem oralen Antikoagulans über einen Zeitraum von elf Monaten. Patienten mit einem geringen Blutungsrisiko sollten eine dreimonatige Triple-Therapie und in der Folge eine duale Therapie aus einem Plättchenhemmer und einer OAK-Monotherapie für eine Dauer von neun Monaten erhalten. An die duale Therapie schließt sich die dann eine orale antikoagulative Monotherapie an. Die Empfehlungen der ESC beruhen jedoch auf eher schwacher Evidenz und weisen überwiegend nur den Empfehlungsgrad 2b (Nutzen ist nicht gut belegt) sowie ein Evidenzlevel C (Expertenkonsens) auf. Gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse existieren hingegen aus einer landesweiten dänischen Kohortenstudie auf Basis von Daten von 118.606 Patienten mit Vorhofflimmern aus dem nationalen dänischen Bevölkerungsregister [8]. Diesen Daten ist zu entnehmen, dass das Blutungsrisiko bei einer OAK-Monotherapie mit Warfarin oder Clopidogrel sowie der Verabreichung von ASS bei einem Wert um 1 bleibt. Kombiniert man jedoch verschiedene Antikoagulanzien oder Thrombozytenaggregationshemmer und Antikoagulanzien, steigt das Blutungsrisiko deutlich an. Die gleichzeitige Gabe von ASS und Clopidogrel steigert das Blutungsrisiko um das 1,66-Fache. Bei Warfarin plus ASS wird ein 1,83-faches Risiko erreicht, bei Warfarin plus Clopidogrel ist es bereits ein 3,08-faches Risiko und den höchsten Risikozuwachs verursacht die Triple-Therapie mit Warfarin-ASS-Clopidogrel mit 3,70. In der prospektiven randomisierten WOEST-Studie wurde die Triple-Therapie (Warfarin, Clopidogrel, ASS) mit einer dualen Therapie aus Warfarin plus dem Plättchenhemmer Clopidogrel an 573 Patienten nach Stentimplantation verglichen [9]. 69 % der Patienten hatten VHF, 31 % hatten eine andere Indikation für eine chronische Antikoagulation. Die Behandlungsdauer betrug ein Jahr.
- Primärer Endpunkt: jegliche Art von Blutungen, gemäß der „Thrombolysis in Myocardial Infarction (TIMI)“-Definition
- Sekundärer Endpunkt: Kombination aus Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall, erneute Revaskularisierung und Stentthrombose
Die PIONEER AF-PCI-Studie
Vor diesem Hintergrund wurde das Design der Phase-IIIb-Studie PIONEER AF-PCI entwickelt [10]. In weltweit 430 Zentren (mit deutscher Beteiligung) wurden 2124 Patienten mit nicht valvulärem Vorhofflimmern (nvVHF), die im Rahmen einer perkutanen Koronarintervention (PCI) einen Koronarstent erhielten, in drei Behandlungsarme randomisiert:
- Studienarm 1: Rivaroxaban einmal 15 mg/Tag in Kombination mit einem P2Y12-Antagonisten (z.B. Clopidogrel 75 mg) über einen Zeitraum von zwölf Monaten. Bei Patienten mit mäßig eingeschränkter Nierenfunktion (Kreatinin-Clearance 30 bis 49 ml/min) wurde die Rivaroxaban-Dosis auf 10 mg/Tag reduziert.
- Studienarm 2: Rivaroxaban zweimal 2,5 mg/Tag in Kombination mit ASS (75 bis 100 mg) und P2Y12-Antagonisten (z. B. Clopidogrel 75 mg). Diese Dreifachtherapie wurde nach Ermessen des Prüfarztes über einen Zeitraum von einem Monat, sechs oder zwölf Monaten durchgeführt. Bei Begrenzung der Therapie auf einen oder sechs Monate wurde im Anschluss eine Behandlung mit Rivaroxaban 15 mg/Tag in Kombination mit niedrig dosiertem ASS durchgeführt.
- Studienarm 3: Klassische Triple-Therapie bestehend aus einem Vitamin-K-Antagonisten (Warfarin), dessen Dosis auf einen INR-Zielwert von 2,0 bis 3,0 angepasst war, und eine duale Antiplättchenhemmung mit P2Y12-Antagonisten (z. B. Clopidogrel 75 mg) und ASS (75 bis 100 mg). Auch in diesem Therapiearm lag die Dauer der Behandlung im Ermessen des Prüfarztes.
- Primärer Endpunkt: Klinisch signifikante Blutungen. Dazu zählten sowohl schwere als auch leichte Blutungen gemäß TIMI-Definition sowie Blutungen, die eine medizinische Behandlung erforderten.
- Sekundäre Endpunkte: kardiovaskulärer Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall und Stentthrombose
- Welcher P2Y12-Inhibitor soll eingesetzt werden? -> 95 % der Patienten wurden mit dem P2Y12-Inhibitor Clopidogrel behandelt; der Rest erhielt Ticagrelor und Prasugrel.
- Über welchen Zeitraum soll die DAPT in den Studienarmen 2 und 3 durchgeführt werden? -> Bei der Dauer der DAPT entschieden sich die Prüfärzte bei 16 % der Patienten für einen Monat, bei 35 % der Patienten für sechs Monate und bei 49 % der Patienten für zwölf Monate. Im Fall einer verkürzten DAPT über einen Monat oder sechs Monate wurde in den Studienarmen 2 und 3 mit Rivaroxaban und ASS bzw. VKA und ASS bis zum Studienende nach zwölf Monaten weiter behandelt, sodass hier eine vergleichbare Dauer der Antikoagulations-Triple-Therapie vorliegt. Das Behandlungsregime in Studienarm 1 wurde bei allen Patienten über zwölf Monate beibehalten.
Studienergebnisse – primärer Endpunkt
Im Verlauf der Studie traten klinisch relevante Blutungen hochsignifikant seltener bei den mit Rivaroxaban behandelten Patienten der Studienarme 1 (16,8 %; p<0,0001) und 2 (18,0 %; p<0,001) im Vergleich zu Patienten des Studienarms 3 (26,7 %) auf, die eine klassische Triple-Therapie erhalten hatten [11]. In den Rivaroxaban-Studienarmen wurde gegenüber Studienarm 3 eine Risikoreduktion um 41 % (HR: 0,59; 95%-KI [0,47 bis 0,76]) bzw. um 37 % (HR: 0,63; 95%-KI [0,50 bis 0,80]) erzielt. In diesem Zusammenhang betonten Gibson et al. (2016), dass lediglich zwölf bzw. elf Patienten mit Behandlungsstrategie 1 bzw. 2 behandelt werden müssen, um eine klinisch relevante Blutung gegenüber dem klassischen Vorgehen zu verhindern. Aufgrund dieses signifikant verbesserten Sicherheitsprofils stellt sich die Frage, ob die konventionelle Triple-Therapie zukünftig durch neue Behandlungsstrategien ersetzt werden sollte? In diesem Zusammenhang wurden in der PIONEER AF-PCI-Studie Wirksamkeitsendpunkte betrachtet.
Studienergebnisse – sekundärer Endpunkt Die Ereignisraten im kombinierten sekundären Wirksamkeitsendpunkt bestehend aus kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall und Stentthrombosen waren insgesamt niedrig. Sie betrugen im Studienarm 1 6,5 %, im Studienarm 2 5,6 % und im Studienarm 3 6,0 %. Jedoch war die Breite der Konfidenzintervalle sehr groß und die Studie mit einer Anzahl von lediglich 2124 Patienten zu klein, um bezüglich der Wirksamkeit eine Nichtunterlegenheit gegenüber der klassischen Triple-Therapie aufzuzeigen [11]. Hierfür wäre eine Patientenzahl von 35.000 je Behandlungsarm notwendig gewesen. Fraglich ist, ob Unterschiede, die erst bei einer so hohen Patientenzahl beobachtet werden können, tatsächlich klinisch relevant sind, wenn man dies mit einer Senkung der Blutungen um 10 % zugunsten von Rivaroxaban vergleicht. Von besonderem Interesse für die US-Zulassungsbehörde FDA war eine retrospektive Post-hoc-Analyse im Rahmen der PIONEER-Studie, die gezeigt hat, dass es im Verlauf der Studie signifikant seltener Rehospitalisierungen aufgrund von Blutungen unter den mit Rivaroxaban behandelten Patienten der Studienarme 1 (6,5 %; p=0,012) und 2 (5,4 %; p=0,001) im Vergleich zu den Patienten des Studienarms 3 (10,5 %) gegeben hat [12]. Auch kardiovaskuläre Ereignisse führten in den Studienarmen 1 und 2 (jeweils 20,3 %; p<0,001 bzw. p=0,005) seltener zu Rehospitalisierungen im Vergleich zu Studienarm 3 (28,4 %). Diese Ergebnisse sind gleichbedeutend mit geringeren Kosten für das Gesundheitssystem, sodass auch aus krankenhaus- und gesundheitsökonomischer Sicht von einer sehr positiven Analyse ausgegangen werden kann. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass beide Behandlungsstrategien mit Rivaroxaban im Vergleich zu VKA zu einer signifikanten Verringerung klinisch relevanter Blutungen führten:- Rivaroxaban zweimal 2,5 mg/Tag + DAPT: relative Risikoreduktion (RRR) 37 %, absolute Risikoreduktion (ARR) 8,7 %
- Rivaroxaban 15 mg/Tag + P2Y12-Inhibitor: RRR 41 %, ARR 9,9 %
- Die 360-Tage-Kaplan-Meier-Schätzer für den kombinierten Endpunkt betrugen 6,5 %, 5,6 % bzw. 6,0 %.
- Rivaroxaban zweimal 2,5 mg/Tag + DAPT: RRR 25 %
- Rivaroxaban 15 mg/Tag + P2Y12-Inhibitor: RRR 21 %
Schlussfolgerungen
- Rivaroxaban ist das erste NOAK, das Daten einer randomisierten, kontrollierten Studie für Patienten mit Vorhofflimmern und Stentimplantation liefert.
- Beide Behandlungsstrategien mit Rivaroxaban zeigen im Vergleich zu einer Gabe von VKA + DAPT ein signifikant verbessertes Sicherheitsprofil
- In allen drei Behandlungsgruppen wurde eine vergleichbare Wirksamkeit erzielt.
- Die Studie war allerdings nicht darauf ausgelegt, eine Überlegenheit oder Nichtunterlegenheit bei den Wirksamkeitsendpunkten nachzuweisen. Experten wie der Amerikaner Dr. Deepak Bhatt empfehlen, dass die Therapie mit Rivaroxaban in den klinischen Alltag integriert werden sollte.
Literatur
1. 2016 ESC Guidelines for the management of atrial fibrillation developed in collaboration with EACTS. Eur Heart J 2016 Oct 7;37(38):2893–2962. 2. Eikelboom JW et al. Dabigatran versus warfarin in patients with mechanical heart valves. N Engl J Med 2013 Sep 26;369(13):1206–1214. 3. 2014 ESC/EACTS Guidelines on myocardial revascularization. Eur Heart J 2014;35:2541–2619. 4. 2015 ESC Guidelines for the management of acute coronary syndromes in patients presenting without persistent ST-segment elevation: Task Force for the Management of Acute Coronary Syndromes in Patients Presenting without Persistent ST-Segment Elevation of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J 2016 Jan 14;37(3):267–315. 5. Falati S et al. Real-time in vivo imaging of platelets, tissue factor and fibrin during arterial thrombus formation in the mouse. Nat Med 2002;8:1175–1180. 6. Merlini PA et al. Persistent activation of coagulation mechanism in unstable angina and myocardial infarction. Circulation 1994 Jul;90(1):61–68. 7. Mega JL et al. Rivaroxaban in patients with a recent acute coronary syndrome. N Engl J Med 2012;366:9–19. 8. Hansen ML et al. Risk of bleeding with single, dual, or triple therapy with warfarin, aspirin, and clopidogrel in patients with atrial fibrillation. Arch Int Med 2010;170(16):1433–1441. 9. Dewilde DJ et al. Use of clopidogrel with or without aspirin in patients taking oral anticoagulant therapy and undergoing percutaneous coronary intervention: an open-label, randomized, controlled trial. Lancet 2013;381:1107–1115. 10. Gibson CM et al. An openlabel, randomized, controlled, multicenter study exploring two treatment strategies of rivaroxaban and a dose-adjusted oral vitamin K antagonist treatment strategy in subjects with atrial fibrillation who undergo percutaneous coronary intervention (PIONEER AFPCI). Am Heart J 2015 Apr;169(4):472–478.e5. 11. Gibson CM et al. Prevention of Bleeding in Patients with Atrial Fibrillation Undergoing PCI. N Engl J Med 2016 Dec 22;375(25):2423–2434. 12. Gibson CM et al. Recurrent Hospitalization Among Patients With Atrial Fibrillation Undergoing Intracoronary Stenting Treated With 2 Treatment Strategies of Rivaroxaban or a Dose Adjusted Oral Vitamin K Antagonist Treatment Strategy. Circulation 2017 Jan 24;135(4):323–333.
